Klimawandel

Mustang: Wegziehen oder bleiben?

Der nepalesische Distrikt Mustang – ehemaliges Königreich von Lo – verfügt wie andere Himalaya-Gebiete (ab einer gewissen Höhe) ein empfindliches Ökosystem, wo die Menschen in Einklang mit den wenigen verfügbaren Ressourcen leben. Die Siedlungen im Mustang haben eine niedrige Bevölkerungsdichte und befinden sich 2800 und 4000 Metern über Meer. Das dortige Klima ist trocken und kalt.  Die Bevölkerung ist tibetisch und buddhistisch geprägt. Die Landwirtschaft ist eine Bedarfswirtschaft. Sie leben von Viehzucht und teilweise vom Handel mit China (Tibet)  und Angehörigen der südlich gelegenen, fruchtbaren Ebenen (Pokhara).

In den Dörfern werden Entscheide kollegial getroffen. Die Verwaltung der Obergemeinden obliegt den Vertretern der Familien, unter welchen jährlich rotiert wird. Initiative lokale Akteure spielen eine entscheidende Rolle in der regionalen Entwicklung, da die Regierung dort kaum präsent ist und kaum Wirkung zeigt.

Der durch die Erderwärmung angekurbelte Klimawandel hat in den Himalaya-Regionen weitreichende Konsequenzen für den Wasserhaushalt. Die ökologischen Veränderungen haben direkte Auswirkungen auf die Siedlungen:

  • Rückgang der der Gletscher- und Schneemassen und somit des Wasserspeichers, was die Bewässerung in der Trockenzeit reduziert und der Landwirtschaft massiv schadet
  • Intensivierung der Gewitterwucht während der Monsunzeit (Sommer), sprungartig ansteigende Reichweite der Wasserläufe, höhere Vulnerabilität der Siedlungen und Äcker gegenüber Bergrutschen und Bodenerosion
  • Erhöhtes Risiko von Sturzfluten, da schmelzende Gletscher die Gletscherseen verändern

Phase 1 (2012)

Diese Situation mindert die Chancen zur Selbstversorgung der lokalen Bevölkerung und die Qualität ihres Lebensraums. Kam For Sud hat mit dem Institut für Erdwissenschaften der SUPSI und der Lo Mustang Foundation und finanzieller Unterstützung der Fondation Assistance Internationale die Situation dreier schwer betroffenen Dörfer untersucht: Samdzong, Yara und Dheye. Diese Dörfer stehen vor der Entscheidung, für fruchtbareres und beständigeres  Land umzusiedeln. Das Projekt suchte nach den besten und nachhaltigsten Strategien für diese Dörfer. Macht es Sinn ein ganzes Dorf umzusiedeln oder nicht? Falls ja, wie könnte so etwas erfolgreich stattfinden? Falls nein, mit welchen Mitteln kann man die Wasserprobleme vor Ort lösen?

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe hat das Thema eingehend analysiert. Sie bestand aus einem Umweltingenieur (Daniel Bernet), einem Geologen (Christian Ambrosi), einem auf nachhaltige Lebensräume spezialisierten Bauingenieur (Daniel Pittet), einem Klimatologen und Glaziologen (Giovanni Kappenberger), einem Ökonomen (Michele Passardi), einem Vertreter der Stiftung Lo Mustang (Tsewang Gurung) und dem nepalesischen Projektkoordinator von Kam For Sud (Rajan Shrestha). Untersucht wurden die Möglichkeiten, die Wasserknappheit und Naturgefahren mit technischen Massnahmen vor Ort zu bewältigen. Man analysierte Daten aus Wetter- und Klimamodellen, und verglich Ausgangs- und Umsiedlungsort. Darüber hinaus wurden alle betroffenen Familien konsultiert, um soziokulturelle Aspekte abzuschätzen und zu berücksichtigen.

Die für die Felder-Bewässerung benötigte Wassermenge ist weitaus grösser als die für den Hausgebrauch. Es ist also in erster Linie der landwirtschaftliche Ertrag, der vom Klimawandel betroffen ist, und somit die Lebensgrundlage der Gemeinden. Alle drei Dörfer Samdzong, Yara und Dheye sind vom Schnee abhängig, denn in den Bergen ist er ein natürlicher Wasserspeicher, der im Frühjahr nach und nach schmilzt und auch im Tal verfügbar wird. Aufgrund der Erderwärmung wird der Schnee jedoch immer weniger und die Wasserressourcen  ausgeschöpft. Und das vorhandene Wasser wird bereits vollständig aufgebraucht. Es gibt kaum Spielraum, um das schwindende Schmelzwasser zu ersetzen. Die Arbeitsgruppe hat technische Massnahmen ermittelt, um Wasser effizienter zu sammeln und auf die Parzellen zu verteilen. Die Daten- und Modellauswertung hat allerdings ein dramatisches Bild für den Mustang ergeben: Bis zur nächsten Jahrhundertwende erwartet man einen Temperaturanstieg von sechs bis zehn Grad. Daher würden mögliche technische Massnahmen das Problem nur vorübergehend lösen, und das Ganze würde in nicht allzu ferner Zukunft von vorn beginnen.

Am aktuellen Standort scheint es für Samdzong und Dheye unmöglich, ihren Wasserbedarf bzw. ihren landwirtschaftlichen Ertrag zu kürzen. Einzig das Dorf Yara könnte es womöglich schaffen, indem es Sektoren ausserhalb der Landwirtschaft stärkt. Die besondere Lage bzw. Nähe zu religiösen Stätten macht den Ort auch aus touristischer Sicht attraktiv. In Yara könnten Dienstleistungen (Kost und Logis für Pilger oder Besucher, Gepäcktransport, Führungen etc.) eine reduzierte Landwirtschaft ausgleichen und es der Bevölkerung ermöglichen, trotz Klimawandel weiterhin in ihrem Dorf zu leben.

Massnahmen zur Minderung des Risikos von Naturgefahren (vor allem Erdrutsche) erscheinen in Samdzong und Dheye angesichts des erwarteten Wasserrückgangs ebenfalls realitätsfremd. Im Fall von Yara hingegen wurde die Frage der Sicherheit aus einer längerfristigen Warte angegangen. Man hat festgestellt, dass das Gebiet um Yara herum von einer tiefgründigen Rutschung betroffen ist. Diese macht den Boden instabil und die Gebäude teilweise einsturzgefährdet; ein Phänomen, das bereits früher beobachtet wurde. Der Erdrutsch erfolgt zurzeit mit moderater Geschwindigkeit, wobei Niederschläge beschleunigend wirken.  Man hat daher eine Karte der Rutschung mit den damit verbundenen morphologischen Strukturen erstellt. Auf ihr wurden gefährliche und sichere Zonen für künftige Bauten eingezeichnet.

Den Einwohnern von Yara wurde ausserdem geraten, Gebäude wie ihre Schule und ihr Kloster umzusiedeln oder bei starken Regenfällen kurzfristig zu evakuieren, da sie von Spalten und Rissen bedroht sind.

Gleichzeitig sollten Sicherheitsmassnahmen in den Dörfern selbst ergriffen werden: Steinkörbe am unteren Ende instabiler Hänge, Verminderung von Lecks an Bewässerungskanälen, Vermeidung von Wasserstau etc.

Samdzong und Dheye werden daher in das Namashung-Gebiet (ein Wasser-Einzugsgebiet sechsmal grösser als das von Samdzong) bzw. Thangchung-Gebiet umziehen müssen ( 36-mal grösser als das von Dheye). Beide werden zumindest teilweise von Quellen aus Gletschern gespeist. Damit wird mindestens bis 2100 die Wasserversorgung der Dörfer sichergestellt, und wahrscheinlich sogar noch länger.

Obwohl die älteren Dorfbewohner ihre Heimat nur ungern verlassen, bestärkt sie der starke soziale Zusammenhalt und die Zukunft der Jüngeren in ihrer Entscheidung. Sie passen sich daher ohne zu zögern der Mehrheit an.

Die Verlagerung in das Haupttal wird zwar die Wasserversorgung der Dörfer sicherstellen. Jedoch wird man auch neue Probleme zum Erfolg der Mission lösen müssen. Im Kali-Gandaki-Tal, dem Haupttal des Mustang, weht beispielsweise ein sehr starker Wind, den die Bewohner Samdzong und Dheye nicht gewohnt sind. Dafür wurde ein Ansiedlungsmodell entwickelt, das (im Einklang mit der architektonischen Tradition) den Bau eines windgeschützten Platzes inmitten des Dorfes ermöglicht. Auch für die Häuser selbst wurde ein modulares  Konzept erarbeitet, das sich an die Bedürfnisse unterschiedlicher Familiengrössen anpasst. Auf diese Art wird das Land der neuen Siedlungen zu gleichen Teilen unter den Familien aufteilt.

Ein weiterer Punkt sind die Felsen und der Schotter im Namashung-Gebiet. Zwei Murgänge haben 1984 und 1987 Geröll mit Steinblöcken von über zwei Kubikmetern Masse mit sich geführt. Das Lockergestein wird auf ein Volumen von 40’000 Kubikmetern geschätzt, das entfernt werden sollte. Es wird aber nur möglich sein, Gestein mittlerer Grösse wegzuräumen. Dieses könnte man hingegen für den Bau einer Schutzschicht am Ufer des Kali Gandaki taleinwärts verwenden.

Für eine detaillierte Ausarbeitung dieser Massnahmen in einer zweiten Projektphase (v.a. Trinkwasser und Bewässerung in den neuen Siedlungen sowie Wassersammlung und -verteilung in Yara) hat Kam For Sud geplant, spezifische technische Berater zu konsultieren.

Berichte

Der Bericht besteht aus vier Teilen: Einem eigenständigen Bericht für jedes Dorf und einem zusammenfassenden Bericht. Alle Berichte sind auf Englisch verfügbar:

Teil 1 (Englisch)Zusammenfassung
Teil 2 (Englisch)Samzong
Teil 3 (Englisch)Yara
Teil 4 (Englisch)Dheye

Phase 2 (2013)

Berichte von Yara und Dheye aus Phase 2 sind hier verfügbar:

Bericht Phase 2 (Englisch)Yara
Bericht Phase 2 (Englisch)Dheye